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Letzte Tänze, erste Schritte

Deutsche Literatur der Gegenwart

Erschienen am 08.06.2010
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442739196
Sprache: Deutsch
Umfang: 392 S.
Format (T/L/B): 2.9 x 18.7 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Von der Generation Grass zur Generation Kehlmann Volker Hage, der Literaturkritiker des SPIEGEL, gibt einen Überblick über die wichtigsten deutschsprachigen Autoren und Neuerscheinungen der letzten Jahre. Noch immer sind die großen Alten wie Grass und Walser für Debatten gut. Aber die Jungen machen sich mit erfrischenden Debüts bemerkbar und treten aus dem Schatten der übermächtigen Großväter. Ein umfassender Überblick über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur.

Leseprobe

Kurze Geschichte der neuesten deutschen Literatur (19992009) Bevor das 20. Jahrhundert zu Ende ging, erlebte die deutsche Nachkriegsliteratur noch einen großen Triumph. Am 30. September 1999 kam die Meldung, dass dem Schriftsteller Günter Grass der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden sei. Als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg war 1972 Heinrich Böll (1917-1985) mit dem begehrten Preis ausgezeichnet worden - schon damals hatte sich die literarische Fachwelt gewundert und war sich weitgehend einig, dass die Auszeichnung eher Grass zugestanden hätte, dem größeren und risikobereiteren Erzähltalent. Die erste Reaktion des damals 71 Jahre alten Autors auf die gute Nachricht aus Stockholm: Er habe rund 20 Jahre lang als Kandidat gegolten, und das Warten habe ihn jung gehalten. Nun beginne für ihn das Alter. Grass erhielt den Preis 40 Jahre nach dem Erscheinen seines internationalen Erfolgsromans "Die Blechtrommel". Ein wenig wie Zahlenmystik mutet es an, dass dem aus Danzig stammenden Schriftsteller ausgerechnet im Jahr mit der Dreifach-Neun als neuntem deutschsprachigen Autor der Preis zugesprochen wurde - mitgezählt Hermann Hesse und Nelly Sachs, die beide aus Deutschland stammten, allerdings nicht als Deutsche ausgezeichnet worden waren (Hesse war 1946 Bürger der Schweiz, und die aus Deutschland geflohene Sachs wurde 1966 als Schwedin geehrt). Immerhin vermied es die Jury in Stockholm, ausschließlich den Debütroman von Grass zu würdigen - wie es 1929, sehr zum Verdruss des Autors, bei Thomas Mann und dessen "Buddenbrooks" (1901) der Fall war. Freilich wurde "Die Blechtrommel" deutlich genug in der Preisbegründung hervorgehoben: Bei Erscheinen des Romans im Jahre 1959 sei es gewesen, "als wäre der deutschen Literatur nach Jahrzehnten sprachlicher und moralischer Zerstörung ein neuer Anfang vergönnt worden". Ein großartiger Anfang war das damals, in der Tat: Für Grass sowohl wie für die deutsche Literatur nach 1945. Und ein genialer Romananfang überdies: Dem gerade 31 Jahre alten Grass war ein Auftakt gelungen, der bis heute zu den elegantesten Spieleröffnungen der Weltliteratur zählt. Nicht nur, dass sich der Romanheld, der aus eigenem Entschluss kleinwüchsige Oskar Matzerath mit wenigen Worten ("Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt") als höchst eigenwilliger Ich-Erzähler und fragwürdiger Zeuge der Ereignisse präsentiert, es werden auch gleich auf den ersten Seiten die modischen Zweifel am Erzählen aufgegriffen und lässig vom Tisch gewischt. Es macht immer noch Vergnügen, dem wild entschlossenen epischen Debütanten Grass dabei zuzusehen, wie er sich sein Recht aufs Fabulieren gegen die literaturtheoretischen Verbotstafeln der Zeit ertrotzt: Natürlich könne man eine Geschichte in der Mitte beginnen, lässt er seinen Oskar sagen, man könne auch ganz am Anfang behaupten, es sei heutzutage unmöglich, einen Roman zu schreiben, oder beteuern, es gebe keine Romanhelden mehr, "weil es keine Individualisten mehr gibt, weil die Individualität verlorengegangen, weil der Mensch einsam, jeder Mensch gleich einsam, ohne Recht auf individuelle Einsamkeit ist und eine namen- und heldenlose Masse bildet". Er, Oskar, und sein Pfleger Bruno seien aber Helden, "ganz verschiedene Helden". Selbst eine dem traditionellen epischen Erzählen abholde Autorin wie die Österreicherin Elfriede Jelinek, die kaum ahnen konnte, dass sie wenige Jahre später selbst den Nobelpreis erhalten würde, sprach 1999 aus Anlass der Grass-Auszeichnung in höchsten Tönen von diesem Roman und seinem Beginn, von der "Atemlosigkeit und Gehetztheit des frühen Grass". Jelinek schrieb weiter: "Er hat nach dem Mief der Nazis etwas geschafft, was ich an Innovationskraft in der deutschen Literatur nie wieder gefunden habe. Den Prosarhythmus, diesen großen epischen Atem - wer hat das denn noch? Ich habe Böll sehr geschätzt, aber Grass hatte die größere Bedeutung für die Literaturgeschichte." Erzählen? Warum denn nicht? Der Nobelpreis für G

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