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Promenade in Jalta

und andere Städtebilder

Erschienen am 09.03.2001
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446200050
Sprache: Deutsch
Format (T/L/B): 3 x 22.5 x 15.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der Osten ist noch lange nicht entdeckt. Königsberg und Czernowitz, Lemberg und Odessa, die großen Flüsse und die weiten Räume - Karl Schlögel, Publizist und Professor für Osteuropäische Geschichte, hat über die Welt im Osten, ihre Menschen, ihre Ideen und ihre Geschichte geschrieben. Ein Abenteuer- und Liebesroman der besten Art.

Autorenportrait

Karl Schlögel, Jahrgang 1948, hat an der Freien Universität Berlin, in Moskau und Leningrad Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Bis 2013 lehrte er als Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. 2016 erhielt er für Terror und Traum (Hanser, 2008) den Preis des Historischen Kollegs. Bei Hanser erschienen zuletzt: Der Duft der Imperien. „Chanel No 5“ und „Rotes Moskau“ (2020) und Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen (NA 2022).

Leseprobe

Kursbuch, Fahrplanwechsel Berlin ist da, wo die Verbindungen zusammenlaufen oder wo sie ihren Ausgang nehmen. Die Kursbücher, in denen das verzeichnet ist, sind Dokumente von historischem Rang. Sie sind wie Choreographien und genaue Chroniken von Veränderungen, ausgedrückt in Beschleunigung und Verlangsamung. Mit jedem Fahrplanwechsel läßt sich messen, ob Entfernungen verkürzt werden oder Nachbarstädte auseinanderrükken. Innerhalb von zehn Jahren hat sich fast alles geändert. Berlin hat sich wieder eingeklinkt ins Netzwerk der europäischen Städte. Es ist nicht länger Endstation, sondern wieder Scharnier. Berlins Bahnhöfe machen die Stadt zum Transitbahnhof in alle Richtungen. Demnächst wird er auch baulich seine Gestalt gefunden haben: in dem Glaspalast, der dort entsteht, wo man heute noch in die Baugrube am Lehrter Bahnhof blickt. Man muß nur den Bewegungen folgen, um zu sehen, daß es weitergeht. Man baut keine Schnellbahnstrecken, die nicht weitergehen, und man baut keine Tangenten, die ins Aus gehen. Und auch für den Berliner Ring gilt: Er arbeitet wieder als die große Zentrifuge, die die Bewegungen verteilt - nach Skandinavien, ins Baltikum, nach Südeuropa, an den Atlantik. Jeder Fahrplanwechsel beweist, daß das Netz, das gerissen war, neu geknüpft wird. Berlin ist durch die neuen Trassen in die Hochgeschwindigkeitszone des Westens hineingerissen worden und bleibt doch zugleich angebunden an die Zone der Langsamkeit im Osten. Daher sind es meist Schlafwagenzüge, daher besteht Reservierungspflicht. In Berlin hält Mitteleuropa über große Entfernungen hin Kontakt mit Eurasien. Die Welt scheint unberechenbar, denn im Prospekt steht: "Zum Teil keine Preisauskunft möglich". Der Zug Berlin-Saratow geht von Samstag bis Montag, die Fahrt dauert 49 Stunden 37 Minuten. Der Zug Berlin-Rostow-Hauptbahnhof geht um 15 .09 Uhr am Samstag und kommt nach 58 Stunden und 19 Minuten in Rostow-Hauptbahnhof an. Drei Grenzorte passiert er: Frankfurt an der Oder, Brest und Osinowka. Der Zug Berlin- Nowosibirsk geht von Samstag 15.09 Uhr bis Donnerstag um 2.37 Uhr, er ist 107 Stunden und 28 Minuten unterwegs. Im Kurswagen kann man bis Akmola (in sowjetischen Zeiten Zelinograd) fahren, wo man nach 102 Stunden und 51 Minuten ankommt - eine Reise über die Wolga hinweg und am nördlichen Ufer des Kaspischen Meeres entlang bis in die kasachische Steppe. Etwas umständlich erscheint die Verbindung Berlin-Lemberg, die von Samstag 21.42 Uhr bis Montag 5.23 Uhr also 31 Stunden und 41 Minuten dauert; man fährt nicht den direkten Weg über Krakau, sondern überquert die polnisch-ukrainische Grenze weiter östlich bei Jagodin und fährt dann wieder gen Westen. Auch Traumzüge sind im Programm: nach Simferopol auf der Krim. Der Zug geht am Mittwoch um 21.42 Uhr und kommt am Samstag um 6.29 Uhr in Simferopol auf der Krim an, die Fahrt dauert genau 56 Stunden und 47 Minuten. Oder der Zug Berlin-Odessa: er geht am Montag um 21.42 Uhr und kommt am Mittwoch um 13.48 Uhr nach einer Fahrt von insgesamt 40 Stunden und 6 Minuten an. Aber auch die alten eingespielten Routen sollte man nicht vergessen: nach Moskau, wohin der Zug um 18.12 Uhr abgeht und am nächsten Tag um 23.39 Uhr ankommt, oder die Nachtverbindung nach Gda´nsk/Danzig mit Kurswagen nach Kaliningrad/Königsberg. Die Dichte dieses Netzes ist ein Erbe der Zeit, da Ostberlin westlichster Vorposten der sozialistischen Hemisphäre war. Damals fuhren Militärs in den Zügen Wünsdorf-Saratow; damals gab es Abschiede mit Militärkapellen auf den Bahnsteigen und einer luxuriösen Bedienung für die verwöhnten Offiziersgattinnen. Eine Erbschaft gibt es auch auf den Flughäfen: Berlin hat bis heute keine Direktverbindung nach New York, aber immerhin nach Pjöngjang, nach Aleppo und Algier, nach Kischinjow/Chisinau, Damaskus und Havanna, Minsk, Ostrava, Palanga/Polangen, Sofia, Vilnius, Kas ... Leseprobe